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Während eine Geschichte gedeiht, wachsen immer wieder neue Ableger, für die im Buch kein Platz ist. Warum die abgeschnittenen Triebe nicht einfach gesondert einpflanzen?

Hier findest Du Texte von mir (keine Fanfiction) zu meinen Büchern, die zwar während des Schreibens entstanden, aber nicht im endgültigen Produkt enthalten sind: Passagen aus der Perspektive anderer Figuren, Szenen, welche die Protagonisten nicht erleben, Vorgeschichten und mögliche Fortsetzungen … Am besten zu verstehen, wenn man das jeweilige Buch gelesen hat, aber auch ohne Kenntnisse ein Erlebnis.
Die Auswahl wechselt. Es lohnt sich, regelmäßig vorbeizuschauen.

Carex: Das kann doch nicht wahr sein!

Unveröffentlichte Szene zum Buch ‚Nachtwolf

Fassungslos starrte Carex seiner Schwester hinterher, wie sie weggezerrt wurde.
Erst, als sich die Gruppe um ihn herum auflöste und er als Einziger auf der Straße stand, konnte er sich wieder rühren. Panisch sprang sein Blick hin und her, dann zornig, als er sein Ziel fand. Mit weit ausholenden Schritten stapfte er dem hochgewachsenen Mann nach, der sich mit unsicherem Gang die hölzernen Hauswände entlang tastete. Noch musste Carex sich zurückhalten. Zu viele Leute waren in der Nähe. Nur die geballten Fäuste verrieten seine Anspannung.
Endlich bog Arnold – bei seinem wahren Namen genannt zu werden, stand ihm gerade nicht zu – in eine leere Gasse, und Carex verlor jede Beherrschung. Er preschte vor, packte den großen Nachtwolf am Kragen und presste ihn gegen eine Mauer.
»Du dreckiger, elender Feigling! Wie konntest du das tun? Du hast ein Mitglied deiner Familie in den Tod geschickt, du mieser Verräter!« Er merkte kaum, wie er ausholte.
Mühelos hielt der Stärkere die auf ihn zurasende Faust auf. »Beruhige dich, Alexander …«
»Ich soll mich beruhigen? Ist dir klar, was du getan hast?«
»Ich habe mein Leben gerettet! Was hätte ich sonst tun sollen? Diese Zeiten wird nicht jeder überstehen. Wir müssen differenzieren. Ich habe eine Familie zu versorgen, sie nicht. Das musst du verstehen, Bruder.«
»Wage es ja nicht, mich Bruder zu nennen!« Carex krallte sich in Arnolds Schultern. »Wie konnte diese Reise dich so verändern? Bist du so schwach, dass sie jegliche Liebe in dir verbrannt hat?«
Arnolds Blick verhärtete sich. Steif schossen seine Arme vor und stießen den Kleineren in den Dreck. »Du hast keine Ahnung von meinen Gefühlen!«, schrie er. »Glaubst du etwa, mir bereitet das Freude?«
»Was soll ich sonst denken?«, kreischte Carex im Aufrappeln und raste mit zu Krallen verkrampften Fingern auf Arnolds Kehle zu.
»Hört auf damit!«
Kräftige Arme packten Carex und hielten ihn zurück. »Oder wollt ihr die Aufmerksamkeit der Wachen auf euch ziehen?«, zischte ihm eine Frauenstimme ins Ohr. Der junge Nachtwolf wand sich, bis er losgelassen wurde und zur Seite taumelte.
Ida stellte sich zwischen ihn und Arnold.
Carex schnaufte, bemühte sich, seinen Zorn in den Griff zu bekommen. »Mehr hast du nicht zu sagen? Stellst dich blind auf die Seite deines feigen Partners?«
»Was hätte er denn tun sollen?«, keifte Ira zurück.
»Alles ist besser, als ein Rudelmitglied zu verraten«, spuckte Carex verächtlich aus.
»Dieser Kampf fordert nun mal Opfer. Warum sollte es dir besser ergehen als mir? Ich habe bereits eine Tochter verloren. Wie würdest du dich fühlen, wenn es eine von deinen gewesen wäre? Wie viele soll meine Familie noch verlieren?«
In Carex kochte eine zähe Suppe zahlloser Widerworte, von denen er kein einziges herausbrachte. Sein Blick wanderte von Idas giftigem Ausdruck hinter sie zu Arnold. Glitzerten da Tränen in seinen Augen?
»Und Vorwürfe retten deine Schwester auch nicht«, beendete Ida den Streit, packte ihren Gefährten und zog ihn mit sich davon.
Keuchend blieb Carex in der leeren Gasse zurück. Das konnte doch alles nicht wahr sein! Eben noch hatten sie Arnold geholfen, Idas Fell zu retten. Nun waren beide wohlauf, während ihre Retterin im Kerker schmorte. Und niemand zeigte auch nur das geringste Bedauern, geschweige denn Dankbarkeit! Aber in einem musste er Ida Recht geben: So konnte er seine Schwester nicht befreien.
Doch was sollte er tun? Der Kerker … Konnte man ihn überhaupt auf anderem Weg außer Richtung Galgen verlassen?
Carex brauchte Hilfe … Wer nur? Seine Familie hatte genug mit sich selbst zu tun. Saxum? Carex konnte sich seine zuckenden Schultern lebhaft vorstellen.
Schlagartig kam ihm ein Gesicht in den Sinn: Erfahren, klug und der Gefangenen nahestehend. Carex fuhr herum und hastete zum Wirtshaus.